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Mechtild Gilzmer: “Die Frauen im Widerstand in Frankreich”- Bericht von der deutsch-französischen Tagung im Rahmen der Städtepartnerschaft Paris-Berlin und des Kulturabkommens Berlin-Paris, veranstaltet von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin, und der Gedenkstätte Maréchal Leclerc de Hautecloque und der Befreiung von Paris/Museum Jean Moulin, Stadt Paris
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Dass Männer und Frauen in unterschiedlicher Weise von kriegerischen Auseinandersetzungen und Gewaltherrschaft betroffen sind, erleben wir in diesen Tagen wieder einmal in ebenso eindrucksvoller wie erschreckender Weise. Wieder einmal werden wir Zeugen da­von, dass der Widerstand von Frauen gegen ein totalitäres Regime, wie beispielsweise das der Taliban in Afghanistan, ihnen damit keineswegs zwangsläufig ein Recht auf Mitsprache und gleichberechtigte Teilhabe am Aufbau und der Entwicklung der postdikatorischen Gesellschaft gibt. Wenn überhaupt, erscheinen sie in der Berichterstattung als Opfer, nicht aber als in der Debatte über die Zukunft des Landes ernstzunehmende Menschen mit gleichen Rechten.

Angesichts dieser Konstanten in der Geschichte und der weltpolitischen Aktualität des Themas lag es denn auch nahe, dass Lucie Aubrac, die große alte Dame der französischen Résistance, in der Eröffnung zur Tagung “Die Frauen im Widerstand in Frankreich”, die vom 8. - 11. Oktober in Berlin stattfand, auf die afghanischen Mädchen und Frauen und ihren Widerstand, den Kampf um die elementaren Menschenrechte, das Recht auf Bildung hinwies.

Im Banne der Zeitzeuginnen

Die unglaubliche Ener­gie und Präsenz, mit der die fast 90jährige ihre  Überzeugungen vortrug,  ließen  etwas von der Kraft und dem Mut erahnen, mit dem sie  1943  –  sie  war  im  sechsten  Monat schwan­ger – ihren  Ehe­mann  Ray­mond und andere  Widerstandskämpfer  in  Lyon  aus der Gestapohaft befreite. Hätte es noch eines Beweises für die Einzigartigkeit von Zeitzeugen als Quelle für die Geschichtsschreibung bedurft, er wäre spätestens bei die­ser Gelegenheit erbracht worden. Die Anwesenheit der Frauen, ihre unprätentiösen und zugleich packenden Erzählungen machten die Tagung zu einem besonderen Ereignis.

Sehr zu recht wies Lucie Aubrac darauf hin, dass diese Tagung genau zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort stattfand. Nicht zu früh – denn vor der deutschen Wiedervereinigung wäre die gemeinsame Sicht auf dieses Kapitel deutsch-französischer Geschichte wohl an der gespaltenen innerdeutschen Ge­schichts­sicht gescheitert – und nicht zu spät, insofern als die letzten Überlebenden in der neuen Hauptstadt Deutschlands symbolisch für die vielen Opfer empfangen und geehrt wurden.

Rosette Peschaud über die “Rochambelles”

Die verschiedenen Berichte und Zeugnisse der ehemaligen Widerstandskämpferinnen stellten denn auch die eindeutigen Höhepunkte der Tagung dar. So beispielsweise der mit zahlreichen Anekdoten und augenzwinkerndem Humor angereicherte Bericht von Rosette Peschaud, die zusammen mit an­-deren Frauen die französischen Streitkräfte in Nordafrika und auch später in Deutschland unterstützte.

Diese weithin unbekannte weibliche Hilfstruppe der “Rochambelles”, die in spezifischen Funktionen (z.B. als Fahrerinnen und Sanitäterinnen) tätig waren, leiteten ihren Namen vom französischen Generalleutnant Rochambeau ab, der im amerikanischen Un­abhängigkeitskrieg auf Seiten der Nordstaaten in Nordamerika siegreich mitkämpfte. Die Fi­nanzen für das spektakuläre Unternehmen stammten von einer reichen Amerikanerin, die den nicht immer begeisterten französischen Generalstab  mit ihrem  großzügigen  Hilfsangebot von  Fahrzeugen und   engagierten Frauen überraschte.  

Wie   unge­wöhn­lich und wenig  bekannt dieser  As­-pekt  der  militärischen  Beteiligung von Frau­en auf dem Schlachtfeld ist, ließ sich an der Re­aktion Lucie Au­bracs ablesen, der man die Er­grif­fen­heit  über  den Mut und das Schicksal der bisher wenig beachteten Frauen anmerkte.

Marie-Jo Chambart de Lauwe über Ravensbrück

Die gleiche Eindringlichkeit vermittelte auch der Bericht von Marie-Jo Chambart de Lauwe, die als Deportierte und Überlebende von Ravensbrück stellvertretend für ihre Leidensgenossinnen ein Bild vom Leben der Frauen im KZ zu vermitteln suchte.

Zur wissenschaftlichen Ausbeute

Während also die Begegnung mit den Zeitzeuginnen und ihrer Geschichte die Vergangenheit lebendig werden ließ, blieben die wissenschaftliche Ergebnisse, die man sich von diesem ersten deutsch-französischen Kolloquium zum Thema erwarten konnte, hinter den Erwartungen zurück.

Der deutscher Part

Angesichts der zahlreich angereisten renommierten französischen Historikerkollegen hätte die Tagung ein Meilenstein im Austausch zwischen deutschen und französischen Wissenschaftlern werden können. Dass es nicht dazu kam, mag zum einen daran liegen, dass die Kollegen der Berliner Hochschulen, die sich theoretisch für Zeitgeschichte und Fragen der Geschlechterfor­schung interessieren, durch Abwesenheit glänzten. Vom Zentrum für interdisziplinäre  Frauen-  und Geschlechterfor­schung der Technischen Uni­versität schaute lediglich Karin Hausen kurz vorbei und moderierte die Tagung einen Vormittag lang.

Die vorgetragenen Ergebnisse wiederum brachten kaum neue Erkenntnisse ans Tageslicht, son­dern beschränkten sich auf die Wiederholung von bereits Bekanntem.

Der französische Part

Einige französische Forscher versuchten, an der bisher gültigen These von der Vernachlässigung der Frauen als Forschungsgegenstand des Widerstands zu rütteln, in dem sie auf die nach dem Krieg erschienenen, von Frauen verfassten autobiographischen Berichte hinwiesen und einzelne Zitate vorbrachten, in denen von der Bedeutung der Frauen im Widerstand die Rede war. Das Vorhandensein von Quellen und Zeugnissen von und über Frauen belegt ja aber noch lange nicht, dass diese von den Historikern auch tatsächlich zur Rekonstruktion der Geschichte herangezogen wurden. Ein Blick in Geschichtsbücher und auf Denkmäler genügt jedenfalls, um die Abwesenheit der Frauen in der allgemeinen Erinnerungskultur zu konstatieren.

Mangel an neuen Perspektiven der Forschung

Der Mangel an wirklich neuen “Perspektiven der Widerstandsforschung” zeigte sich auch in den Beiträgen über jüdische und deutsche Frauen im Widerstand in Frankreich, in denen Bekanntes wiederholt oder gar am Thema vorbeigeredet wurde. Angesichts des Forschungsstands über die Spezifik des Exils und des Widerstands jüdischer Frauen in Frankreich davon zu sprechen, dass es unsinnig sei, sich dieser Frage überhaupt zu widmen, mutet schon merkwürdig an, vor allem, wenn diese Kritik aus dem Mund der Referentin selbst kommt. Der gleiche Mangel an Interesse am eigentlichen Thema schien sich der Referentin zum Widerstand der deutschen Frauen in Frankreich bemächtigt zu haben, die viel über das deutsche Exil im allgemeinen und wenig über die Spezifik des Widerstands deutscher bzw. deutschsprachiger Frauen in Frankreich zu sagen wußte.

Die Unterschätzung der Kategorie Geschlecht in der Forschung

Dass die Chance zur wissenschaftlichen Vertiefung der Frage des Widerstands von Frauen vertan wurde, lag unter anderem daran, dass die Bedeutung der Kategorie Geschlecht zur Erforschung des Widerstands in Frankreich (und dies betrifft Männer und Frauen) lediglich von der amerikanischen Forscherin Paula Schwartz ernst genommen und entwickelt wurde. Unter den TagungsteilnehmerInnen stießen die dabei aufgeworfenen Fragen erstaunlicherweise auf Unverständnis bis Abwehr.

Dabei zeigte sich doch an einigen wenigen Beispielen und Vorträgen, wie wichtig diese Kategorie bei der Entwicklung neuer Fragestellungen und zum Verständnis des Geschehenen nötig ist. Solange der Widerstand beispielsweise an ein ganz bestimmtes, militärisches und an männliche Erfahrungswelten orientiertes Verständnis gekoppelt war, traten spezifische Aktionen wie z.B. die auf der Tagung vorgestellten Demonstrationen von Hausfrauen und die Untergrundzeitschriften von Frauen gar nicht erst ins Blickfeld der Forschung. Zum genaueren Verständnis dieser Sachverhalte und bei der wissenschaftlichen Analyse müssen immer auch die an das Geschlecht gebundenen Zuschreibungen berücksichtigt werden. Erst dann wird manches, was zunächst als Ungereimtheit erscheint, erklärbar. Warum beispielsweise werden Frauen, die politisch aktiv sind und als solche verhaftet und interniert werden, unterschwellig oder auch ganz explizit als Prostituierte bezeichnet? Warum wurden Frauen, die im Widerstand waren, häufig auch nach dem Krieg als Prostituierte angesehen? Solche Fragen können nur beantwortet werden, wenn man die geschlechtsspezifischen Rollenklischees und ihre Funktionsweisen analysiert. 

Unterschiede Deutschland-Frankreich

Ein bisschen spannend wurde es dann noch einmal gegen Ende der Tagung, als es um  Erinnerungsdiskurse und Erinnerungsarbeit ging. Der vergleichende Blick von Florence Hervé auf den Widerstand in Deutschland und Frankreich brachte einige Unterschiede zu Tage, die zu vertiefen und genauer zu betrachten sicher lohnenswert ist und die auch angeregt und kontrovers diskutiert wurden.

Spezifik der Erinnerungsarbeit

Einen sehr aufschlussreichen Beitrag lieferte die junge Forscherin Sandra Fayolle, die Form und Funktion von Erinnerungsprozessen am Beispiel der französischen Widerstandskämpferin Danielle Casanova untersucht hat. Ihr Beitrag machte die Mechanismen der Erin­nerungsarbeit, ihre geschlechtspezifische Prägung und institutionelle, sprich: parteipolitische Einbindungen deutlich.

Auch wenn es ansonsten in den drei Tagen nicht immer zu geistigen Höhenflügen und neuen Erkenntnissen kam, so verlief die Tagung aufgrund der ausgezeichneten Organisation durch die Mitarbeiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand insgesamt in einer sehr angenehmen Atmosphäre. Sie hatten dafür gesorgt, dass die Veranstaltung in einer dem Thema und den angereisten Zeitzeugen entsprechenden Rahmen stattfand. Die gemeinsame Besichtigung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück mit den Zeitzeuginnen bildete einen angemessenen und würdigen Abschluß der Tagung.