Tageszeitung "Junge Welt" 06.04.2005
  

Peter Rau

 

Lexikon aus erster Hand

 

Unbekannte Fronten des Widerstandes: Verband DRAFD legt ein biographisches Handbuch über deutsche Antifaschisten vor – Fortsetzung erwünscht

 

»Wenn wir es nicht tun, wird es niemand tun.« Dieses Arbeitsmotto und zugleich Motiv stand vor einigen Jahren am Beginn der Überlegungen im Antifa-Verband DRAFD, ein Nachschlagewerk über deutsche Antifaschisten vorzulegen. Mit dem Erscheinen der Kurzbiographien von rund 1500 Teilnehmern am antifaschistischen Kampf ist ein vorläufiger, doch nichtsdestoweniger vorzeigbarer Abschluß gefunden. Unter dem lakonischen Titel »Gegen Hitler« werden Deutsche vorgestellt, die vor sechs Jahrzehnten vom Ausland her, aus dem Exil heraus, in den von der Wehrmacht okkupierten Ländern bzw. in den Armeen der Gegner Hitler-Deutschlands für den Sturz des Naziregimes und ein rascheres Ende des faschistischen Eroberungskrieges gekämpft haben. Mit diesem biographischen Handbuch will der Verband Deutscher in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung »Freies Deutschland« (DRAFD) all denen, wie man so sagt, ein bleibendes Denkmal setzen, die in diesem Kampf ihr Leben einsetzten – die Zahl der dabei Gestorbenen geht in die Hunderte. Zugleich wird damit eine Lücke in der Palette biographischer Lexika geschlossen, in denen dieser von deutschen Emigranten wie von Wehrmachtsdeserteuren oder auch Kriegsgefangenen geleistete Widerstand bisher, wenn überhaupt, höchstens partiell erfaßt worden ist.

Herausgeber Gottfried Hamacher steht beispielgebend für einen Teil dieser Lebensläufe. Der heute 88jährige war 1941 als Unteroffizier der Luftwaffe in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten, hatte sich dem 1943 bei Moskau gegründeten Nationalkomitee Freies Deutschland angeschlossen und als Angehöriger der etwa 4000 Mitglieder zählenden Frontorganisation des NKFD fast zwei Jahre lang als dessen Beauftragter in der 65. Armee der sowjetischen Streitkräfte gewirkt.

Für einen anderen, zahlenmäßig weit geringeren Teil wäre Stefan Doernberg zu nennen, der auch für das Vorwort – »Eine unterbelichtete Front des antifaschistischen Widerstandes« überschrieben – verantwortlich zeichnet. Als Leutnant der Roten Armee war er einer von etwa hundert Deutschen, die direkt in den sowjetischen Streitkräften, zumeist in der Frontpropaganda, tätig waren.

Zu den Akteuren – viele von ihnen werden erstmals, einige nur mit spärlichen Lebensdaten, aus der Anonymität geholt – gehörten Frauen und Männer aus allen Klassen und Schichten: kommunistische wie sozialdemokratische, konservative wie liberale Emigranten; Wehrmachtsgeneräle wie Schriftsteller, Politiker wie Wissenschaftler. Da war der Deserteur, der sich in Italien den Partisanen anschloß, wie der Überläufer, der auf seiten der griechischen Befreiungsarmee kämpfte; der Emigrant, der Aufnahme in die britischen Streitkräfte fand, wie der Theologe, der in der Schweiz die Bewegung Freies Deutschland unterstützte, der Interbrigadist, der in Frankreich seine spanischen Kampferfahrungen als Maquisard einbrachte, wie die frühere sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete, die in die Leitung des Komitees Freies Deutschland für den Westen gewählt wurde ...

Natürlich waren und sind sich Herausgeber wie Verlag darin einig, daß mit dem nun vorliegenden, von der Rosa-Luxemburg-Stiftung betreuten Nachschlagewerk, die oben erwähnte Lücke noch längst nicht geschlossen ist. Schon die Zahl von 1 500 Kurzbiographien über eine Bewegung, die einige zehntausend Frauen und Männer erfaßt haben dürfte, verlangt förmlich nach Fortsetzung und Ergänzung (allein für Frankreich werden rund 1000 Deutsche in den Reihen der Résistance erwähnt, in den britischen Streitkräften sollen es mindestens 500 gewesen sein).

Am Karl Dietz Verlag, so besagt dessen Geleitwort, sollte eine Fortführung des Projektes nicht scheitern; er stellt sich expressis verbis gegen die »nicht zuletzt akademische Verschweigensgemeinschaft in Deutschland«, wenn es um diesen nicht unerheblichen Beitrag zum Sturz des faschistischen Terrorregimes geht. Das damit gegebene Versprechen wird bei den DRAFDlern sicher ein positives Echo finden – allen mit ihrer Freizeitforschung verbundenen Widrigkeiten zum Trotz.

* Gottfried Hamacher (Hrsg.): Gegen Hitler. Deutsche in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung »Freies Deutschland«. Kurzbiographien. Karl Dietz Verlag, Berlin 2005. 230 Seiten, 9,90 Euro

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