Peter Rau

 

Kategorisches Nein

 

Die BRD ist nicht das Ende der Geschichte: Zum 95. Geburtstag des Antifaschisten und DRAFD-Vorsitzenden Ernst Melis

 

Wer diesem Mann begegnet, wird es kaum glauben – sein Geburtsdatum 5. März 1909. Vom Kaiserreich über Weimar und die faschistische Diktatur mit dem zweiten imperialistischen Welteroberungskrieg bis hin zum sozialistischen Alternativversuch auf deutschem Boden hat er bereits vier verschiedene Staatsformen hinter sich; »da muß auch die fünfte nicht das letzte Wort der Geschichte gewesen sein«. In dieser Bundesrepublik hätte Ernst Melis sich längst zur Ruhe setzen können, doch das ist offensichtlich nicht sein Ding. Vielmehr drängt es ihn nach wie vor, die Erfahrungen seines langen Lebens und das daraus resultierende kategorische Nein zu Rassismus, Revanchismus, Neofaschismus, Militarismus und Krieg weiterzugeben.

Seit nahezu zwölf Jahren steht Ernst Melis an der Spitze des »Verbandes Deutscher in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung ›Freies Deutschland‹« (DRAFD). Diese erste gemeinsame Organisation ost- und westdeutscher Antifaschisten hat er 1992 mitbegründet. Für ihn selbst trifft dabei das erste Drittel der etwas umständlichen Verbandsbezeichnung zu: Vom ersten Kriegstage an bis zur Befreiung nahm er in Frankreich teil am Widerstand gegen Hitler und den Krieg.

Vorher hatte der in Kassel geborene Arbeiterjunge Dreher gelernt und war sowohl der Metallgewerkschaft als auch dem Kommunistischen Jugendverband und der KPD beigetreten. Aktiver Antifaschismus war selbstverständlich.

Er ist knapp 20, als 1929 ein Oberreichsanwalt Becker eine Handakte in der »Strafsache gegen Ernst Melis« anlegt. Als der im Mai 1932 Anklage wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« erheben will, taucht er in die Illegalität ab – eine gute Schule für das, was nach der Errichtung der faschistischen Diktatur noch alles auf ihn zukommen wird. Ende 1933 geht Melis im Parteiauftrag außer Landes. Die Niederlande und Frankreich, die Sowjetunion und die Tschechoslowakei sind erste Exilstationen, ehe es ihn, inzwischen Redakteur bei der in Prag erscheinenden Deutschen Volkszeitung, Ende 1937 samt der von der illegalen KPD-Führung angeleiteten Redaktion wieder nach Paris verschlägt.

Der Beginn des Zweiten Weltkrieges setzt auch dem halblegalen Aufenthaltsstatus in Frankreich ein Ende; während deutsche Emigranten zu Hunderten interniert werden, gelingt es Melis, mit falschen Papieren erneut in die Illegalität abzutauchen. Zunächst in Toulouse und später in Lyon stellt er gemeinsam mit Gleichgesinnten Verbindungen zum französischen Widerstand her. Neben der Sammlung der eigenen Kräfte konzentrieren sie sich, abgestimmt mit französischen Widerstandskämpfern, auf die Antikriegspropaganda unter den Besatzungstruppen.

Wenn Melis heute von jener Zeit erzählt, spricht er kaum von der Lebensgefahr, unter der sie damals Tag für Tag agierten. Dennoch werden aus diesen Berichten Umstände und Beweggründe klarer, wird antifaschistischer Widerstand plastisch, der hierzulande meist nur auf eine Handvoll Verschwörer in Uniform reduziert wird. 1944, im Jahr des Attentatsversuchs gegen Hitler, zum Beispiel hat Melis wiederholt in Südfrankreich das Gespräch mit Wehrmachtsangehörigen gesucht, in Gaststätten, auf der Straße, vornehmlich aber als unscheinbarer Passagier in jenen Zügen, mit denen die Besatzungsmacht ihre Soldaten auf Heimaturlaub schickte bzw. zurückholte an die Westfront. »Da konnte man selbst unter den allgegenwärtigen Plakaten von wegen ›Feind hört mit!‹ manch wichtige Information aufschnappen sowie Stimmungen und Meinungen über den Kriegsverlauf und die Lage in der Heimat, was wir dann in unseren nächsten Flugblättern oder den illegalen Zeitungen für die deutschen Soldaten verwendeten.«

Monat für Monat erschienen Publikationen wie Soldat am Mittelmeer oder Unser Vaterland mit einer Auflage von insgesamt rund 200000 Exemplaren. Melis war für beide der verantwortliche Redakteur. 1944 hatte seine Redaktion ihren Sitz in einem unscheinbaren Haus an der Straße von Lyon nach Givors: In dem von seinen früheren Besitzern verlassenen Bistro stellte er die Druckvorlagen in einer wegen der Geräusche mit Decken verhangenen Abstellkammer, praktisch ohne Luftzufuhr, her. Dazu gehörte auch jene Ausgabe der Zeitung Unser Vaterland – sie erschien seit Herbst 1943 als Organ der Bewegung »Freies Deutschland« für den Westen –, in der Melis wenige Tage nach dem SS-Massaker in Oradour-sur-Glane am 10. Juni 1944 über den Mord an 642 Männern, Frauen und Kindern informierte und schrieb: »Kameraden, dies ist keine Feind- oder Greuelpropaganda, das sind Tatsachen! Grausamkeiten, von deutschen Soldaten begangen ... Für jeden anständigen Deutschen muß es heißen: Trennung von den Verbrechern, die solche Befehle geben und durchführen!«

Gewiß, Aufrufe wie dieser erzielten kaum Massenwirkung, und doch waren sie ein beachtliches »Lichtsignal in einer dunklen Zeit«, wie es der Résistance-Gefährte und heutige DRAFD-Mitstreiter Gerhard Leo einmal nannte. Damit der antifaschistische Widerstand nicht in Vergessenheit gerät und die damaligen Erfahrungen für die nachfolgenden Generationen nutzbar gemacht werden können, vereinten sich in DRAFD Zeugen jener Zeit. Als Vorsitzender hat Ernst Melis wiederholt seinen Namen unter Schreiben an die Adresse der in der BRD Regierenden gesetzt, sei es zum sogenannten Aufstand der Anständigen, zum Umgang mit dem antifaschistischen Erbe, zum NPD-Verbotsverfahren oder zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Er sagt: »Wer nicht gegen die Widrigkeiten des Lebens ankämpft, kann gleich seinen politischen Bankrott verkünden.«

Daß sein Verband dabei ins Visier des Verfassungsschutzes geraten ist, der ihn in seinem letzten Jahresbericht als kommunistischen, in den organisierten linksextremistischen Antifaschismus eingebetteten Traditionsverein bezeichnete, quittiert Melis mit einem Achselzucken. Zwölf Jahre lang erschien sein Name Jahr um Jahr (zuletzt im April ’45 mit der Ankündigung der Wiedervorlage im Dezember!) auf den Fahndungslisten der Gestapo.

http://www.jungewelt.de/2004/03-05/019.php

 

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