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Oradour am 10. Juni 2004
Ich laufe durch die Straßen von Oradour. An einem sonnigen und sehr warmen Tag. Auch vor sechzig Jahren soll die Sonne so gebrannt haben. Bis der blaue Himmel vom Rauch der brennenden Häuser und Menschen geschwärzt wurde. Vor meinen Augen die zerstörten Gebäude. In meinem Inneren sehe ich Bilder, Bilder von Menschen, glücklichen, fröhlichen Menschen die hier einmal lebten. Kinder, die hüpfend den Weg nahmen, eilende Betriebsamkeit aber auch manchmal schleppende Schritte von den Alten, die gern eine kleine Pause einlegten um über den Gartenzaun hinweg ein paar Worte zu wechseln. Sie liefen die gleichen Wege, die nun auch ich gerade entlang laufe. Sie liefen hier zur Schule, in ein Geschäft, nach Hause, in die Kirche oder zur Straßenbahn. Ein beschaulicher Ort war Oradour bis zu dem Tag, an dem sich alles ändern sollte. Der Tag, an dem alle männlichen Einwohner erschossen wurden und die Frauen und Kinder zusammengepfercht in der Kirche bei lebendigen Leib verbrannt wurden. Unschuldige Menschen wurden Opfer vom blindem Hass und Gehorsam einem faschistischen Regime gegenüber, das so brutal und menschenverachtend war, daß es nicht nicht in Worte zu fassen ist. Vor diesem Orte des Grauens stehe ich schweigend. Deutsche Soldaten, die selbst Familien hatten und vielleicht nach dem ausgeführtem Befehl liebevolle Briefe nach Hause schrieben, brachten Hass, Gewalt, Leid und Tod in diese kleine Stadt. Ich weiß nicht, wie man diese Leute bezeichnen soll. Wenn die Worte Mensch und Menschlichkeit nichts mehr miteinander verbindet. Ein alter Mann kommt auf uns zu und hebt seinen Arm. Er zeigt auf die blauschwarz eintätowierte KZ-Nummer. Er spricht kein Wort. Aber er reicht uns seine Hand. Tränen in seinen Augen. Dann wendet er sich ab und geht wieder. Später legen wir schweigend am Ehrenmal den Kranz nieder. Ein unendlich bewegender Moment in meinem 23jährigen Leben. Neben mir Gerhard, einer der als Resistancekämpfer damals das andere Deutschland repräsentierte und Thomas, ein junger Genosse. Gerhard und Ernst verdanke ich die Erkenntnis, daß es zu jederzeit möglich ist, sich gegen Unrecht und Verbrechen zu wehren. Auf dieser Reise haben sie mich gelehrt, daß es in unserer eigenen Verantwortung liegt, trotz aller Ängste und Zwänge Menschlichkeit in unmenschlicher Zeit zu leben. Daß man gegen den Strom schwimmen kann. Daß Zivilcourage möglich ist. Daß man trotz solcher Brutalitäten, viel Leid und Entbehrungen nicht verbittern muß. Daß Lachen wieder möglich wird. Nie werde ich die Begegnungen mit den Überlebenden vergessen. Auch nicht die kleine zierliche Frau, die Ravensbrück überlebte. Die trotz allem was sie durch Deutsche erleiden mußte nicht verbittert ist. Sie strahlt eine Kraft und Hoffnung aus, die ohne Ende zu sein scheint. Die uns Jugendliche trifft, um uns von ihrem Schicksal zu erzählen. Wir werden nichts vergessen, was sie uns erzählte. Und wenn diese Zeitzeugen nicht mehr darüber berichten können, werden wir es unseren Kindern erzählen, damit diese Zeit der Unmenschlichkeit niemals vergessen wird. Und damit so etwas Schreckliches nie wieder geschehen kann. „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch...“ warnte bereits Bert Brecht. Ich werde diese Tage in Frankreich nie vergessen und will mein Wissen davon weiter tragen.
Anna Natalia Schmidt (23)
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